Nicht-rationale Erkenntnis
Die Funktion des rationalen Verstandes basiert auf einem rationalen Modell der Realität - der Weltsicht des Verstandes. Dieses rationale Modell ersetzt in wesentlichen Teilen die unmittelbare Wahrnehmung der Realität. Der Verstand bindet das Verhalten emotional an sein Realitätsmodell, so wie das Verhalten vor der Entwicklung des Verstandes über die Gefühle an die Realität gekoppelt war. Das rationale Modell des Verstandes schiebt sich emotional zwischen Ich und Realität.
Die ursprüngliche emotionale Bindung an die Realität bleibt jedoch unterschwellig erhalten. Sie äußert sich nur wesentlich schwächer.
Das ist kein Problem, solange rationales Modell und Realität übereinstimmen. Da das in großen Teilen aber nicht der Fall ist, führt das rational gesteuerte Verhalten zu unbewusst hervorgebrachten negativen Auswirkungen.
Wird die starke emotionale Verbindung zwischen falschen Teilen der Weltsicht und Verhalten gelöst, werden die nicht-rationalen Teile der Psyche wieder aktiv und übermitteln dem Verstand unmittelbare Erkenntnisse über die wahre Natur der Realität. Negative Wirkungen lösen sich auf erstaunliche Weise auf und lange angestrebte Verhaltensänderungen ergeben sich vollkommen mühelos.
Das heißt, sobald das Verhalten von falschen Teilen der Weltsicht getrennt wird, übernehmen die nicht-rationalen Teile der Psyche sofort und selbstverständlich wieder die Verhaltenssteuerung und übermitteln gleichzeitig auf rationaler Ebene die entsprechenden Zusammenhänge. Es ist eine überwältigende Erfahrung, weil man sie aus dem rationalen Weltbild heraus nicht erwartet und weil es sich um Wirkungen handelt, die weit über alles rational Erreichbare hinausgehen. In der Religion ist es genau das, was als Gotterfahrung wahrgenommen wird.
Damit erklärt sich auch die Funktion des Leidens:
Das extreme Leiden, das mit der menschlichen Existenz an vielen Stellen einhergeht, erwächst aus den rationalen Irrtümern über die Realität. Je stärker der Verstand auf Abwege gerät, umso größer wird das Leiden. Leiden bedeutet negative Gefühle. Die Gefühle aktivieren die nicht-rationalen Teile der Psyche, welche die Lösungen liefern. Es ist eigentlich ein selbst-korrigierender Mechanismus, der allerdings vom Verstand blockiert wird
- durch die Blockade der Gefühle
- und Illusionen rationaler Scheinlösungen (Aktionismus)
Je stärker das Leiden wird, umso mehr Kraft muss der Verstand zur Blockade der Gefühle aufwenden und umso deutlicher fühlen sich auf emotionaler Ebene Scheinlösungen als Scheinlösungen an. Das Leiden hat die Funktion, die rationale Blockade der Gefühle und die rationalen Illusionen aufzubrechen, um die tatsächlich funktionierenden Lösungen zu ermöglichen. Die Frage ist, was eher zusammenbricht:
- der blockierende Widerstand des Verstandes
- oder das umgebende System
Der Verstand versucht immerzu, Leiden durch Illusionen und rationale Scheinlösungen zu beseitigen, lange bevor die echten Lösungen sich zeigen konnten. Ähnlich ist es mit körperlichen Schmerzen. Schmerzen sind Teil des Heilungsprozesses mit einer Vielzahl an Funktionen:
- Sie begrenzen das Verhalten zum Schutz des Körpers, zum Beispiel nach Verletzungen oder im Fall von übermäßigen oder einseitigen Überlastungen.
- Sie sind an sich nicht das Problem, sondern vielmehr Teil der Heilung.
- Sie stellen die Verbindung zwischen Psyche und Körper in Problem-Situationen her. Heilungsprozesse beinhalten in der Regel notwendige psychische Korrekturen, die durch die Schmerzen initiiert werden.
Der übermäßige und schnelle Gebrauch von Schmerzmitteln negiert die natürliche Funktion der Schmerzen und ist ebenfalls eine rationale Scheinlösung des Verstandes, der meint, jede negative Empfindung sofort beseitigen zu müssen, anstatt ihren Sinn zu verstehen.